Rolf A. Kluenter

ROLF A. KLUENTER

Rolf A. Kluenter versteht sich als Wanderer zwischen den Welten. Er hat seine alte - europäische - Identität aufgegeben und befindet sich in steter Auseinandersetzung mit verbindenden Elementen und Strategien aller Weltkulturen, die sein künstlerisches Werk befruchtet. Seine Arbeiten sind von einer meditativen Spiritualität fernöstlicher Prägung inspiriert; ein Kontext, den die Kunst im Westen fast vollständig aufgegeben hat. Der Künstler begibt sich auf die Suche nach archetypischen Zeichen, Mythen und Riten, die der ganzen Menschheit zu eigen sind. Seine kš¹nstlerische Formensprache jedoch schöpft aus asiatischer Kulturtradition. Für ihn ist das Aufzeigen verbindender Elemente ein Konsolidieren neuer persönlicher Identität.

Künstlerisch gesehen wurzeln die Arbeiten von Rolf A. Kluenter im abstrakten Expressionismus. Bildträger sind jedoch nicht Leinwände, sondern Papier, Holz und Ton. Seit 1999 konzentriert sich der Künstler auf das Arbeiten mit Papieren; sie präsentieren sich als eigentliche Bilder, aber auch als raumhaltige Objekte und Installationen.

Die Adaption asiatischer Schriftkultur steht im Mittelpunkt vieler Arbeiten. Die Kenntnis jahrhundertealter nordindischer und tibetischer Manuskripte, in Goldschrift auf schwarzem Papier abgefaßt, fließt in das Werk ein. Zum einen übernimmt der Künstler Schriftzeichen und Alphabete, die jenseits ihrer Wortbotschaft immer auch symbolische und verweisende Bedeutung haben. So wird durch die Nennung bestimmter Buchstaben ein kosmischer Zusammenhang angesprochen und spirituell hergestellt - zu dem Buchstaben "A" hat Rolf A. Kluenter eine Serie von Arbeiten erstellt, die sich unter dem Titel "Aworldwide" präsentieren. Das "A" als Herzlaut, als Bezeichnung des Urgrundes allen Seins in verschiedenen asiatischen Kulturen wird variiert und kompositorisch mit abstrakten Zeichensetzungen kontrastiert. Neben dem ikonischen Charakter von Schriftzeichen ist andererseits auch das Schriftbild und seine Tradition für den Künstler von Interesse. So findet sich alte Siegelschrift als kalligrafische Setzung auf dem Papier wieder - bis hin zum Zitieren des roten Siegelwachses, das unter einem Schriftstück aufgetragen ist. Diese Elemente verselbständigen sich assoziativ in weiteren Arbeiten desselben Themenkreises. Anordnungen von Zeichen im ganzseitigen Schriftsatz finden sich ebenso wie der Siegelabdruck, der die hieratische Aura eines fast leeren Blattes besiegelt.

Neben die reiche Schrifttradition fernöstlicher Kulturen treten religiöse Mythen und Riten als künstlerischer Ausgangspunkt der Arbeiten von Rolf A. Kluenter. "Aprons", als Schürzen mit magischer Schutzfunktion gestaltete Papierarbeiten, wurzeln unmittelbar in den religiösen Vorstellungen asiatischer Kulturen.

Auf einer weiteren, materiellen Ebene sind es die unterschiedlichen Papiere und Farben der asiatischen Kulturen, die den Künstler faszinieren. Schriftzüge in Gold und Silber finden sich in den Arbeiten ebenso wieder wie schwarzes Nepalpapier, das Rolf A. Kluenter bereits seit Beginn der achtziger Jahre in seinen Werken einsetzt. Nach eigenem Konzept läßt er handgeschöpfte Büttenpapiere anfertigen und mit Kohlestaub einfärben. Durch manuelles Nachbearbeiten erreicht er eine expressive Strukturierung der Oberfläche, die als Ausdrucksträger Bestandteil seiner Arbeiten ist. Diese Papiere können in dünne Bahnen geschnitten zu Flechtwerk verwoben oder aneinandergestückt und verleimt zu großen Rollen geformt werden.

Ein konzentriertes Energiepotential geht von den geschlossenen Schriftrollen und Stapeln zu Büchern gebundener Papiere aus. Es entzieht sich dem Blick des Betrachters, ist in seiner Ausdrucksmächtigkeit jedoch stets unmittelbar präsent. Dieser Umgang mit dem Material verweist auf archetypische Denkstrukturen, die allen Kulturen eigen sind. Das rituell eingebundeneVerbergen oder Offenbaren von Erkenntnis, Energie, Gottheit schwingt als Bedeutungsebene in den Arbeiten von Rolf A. Kluenter mit. Unterschiedliche Konnotationen können in seinem Werk zu ganzheitlich ausgerichteten Arrangements kombiniert werden; das Einzelwerk präsentiert sich dann als Teil eines Universums von kosmischen Entsprechungen und Verweisen.

So zeigen die Arbeiten zum Themenkreis "Sankranti" den Transit von Himmelskörpern in durchfensterte Papiere übertragen, die die Energiebündelungen stellarer Konstellationen ebenso versinnbildlichen wie den Blick in das "Dahinter" des unendlichen Universums.

Die künstlerische Entwicklung in den Papierarbeiten von Rolf A. Kluenter spannt einen weiten Bogen von der Verwendung verschiedener Papiere als klassische Bildträger bis hin zum eigenständigen Werk mit Objektcharakter. Die expressive Struktur des gefransten Büttenpapierrandes wird zunächst durch gezieltes manuelles Ausformen des Materials in ihrem Ausdruck gesteigert. Auf diese Weise entstehen "shaped papers", die dann in der Durchlöcherung und Faltung des Materials eine konsequente Fortführung erfahren. Der übergang in die Dreidimensionalität eröffnet neue Möglichkeiten raumgreifender Installationen. Sind es zunächst magische Zirkel und Farbraumkörper, die als Installationen entstehen, so finden in den jüngsten Arbeiten von Rolf A. Kluenter in raumfüllenden Ensembles ausschließlich schwarze Papiere Verwendung.

Als Hülle von Alltagsgegenständen bilden sie in den Installationen "Nocturne" und "Silent Requiem" Raumeinrichtungen ab. Das Möbel selbst verschwindet allerdings aus diesem Zusammenhang, nur sein Abbild bleibt sichtbar. Großformatige schwarze Papierbahnen überformen als "Schatten" der Realität die gewohnten Gegenstände. Die Nicht-Farbe Schwarz ist hier unter dem Aspekt der Negation von Malerei und Lichthaltigkeit eingesetzt. In einer Gratwanderung zwischen totaler Auflösung der Materialität und dem Objektcharakter der Papierarbeiten lotet der Künstler diese Paradoxa aus. Das Werk präsentiert sich in einem Schwebezustand, es manifestiert sich im Moment des Gleichgewichts zwischen den Welten.

In der Tradition fernöstlicher Kultur schwarzer Manuskripte und westlicher Reduktion malerischer Mittel entwickelt Rolf A. Kluenter konzeptuelle Arbeiten mit hohem spirituellem Gehalt. Das Material selbst wird durchdrungen mit geisäiger Energie, es ist Vehikel einer inneren Schau des Künstlers, der zu der fundamentalen Frage nach den Möglichkeiten künstlerischer Arbeit vordringt.

Maria Lucia Weigel